Immer mehr junge Menschen leiden unter Telefonangst. Welche Herausforderungen dadurch auf uns zukommen, lesen Sie hier.

Generation Telefonangst: „Geht das auch per E-Mail?“

Als junger Kerl war mir schnell klar: Verkaufen, das ist der richtige Job für mich! Ich hatte ein Talent dazu, Menschen schwindelig zu quatschen. Und ich hatte gehört, dass sich im Vertrieb schnell und viel Geld verdienen ließe. Gesagt, getan: Nach meiner Ausbildung zum Groß- und Außenhandelskaufmann schrieb ich Bewerbungen wie ein Weltmeister. Und kassierte erst mal eine Absage nach der nächsten. Zu jung, keine Erfahrung und so weiter. Bis ich die Anzeige entdeckte, die alles verändern sollte: Ein Kopierer-Hersteller suchte einen Juniorverkäufer. Mir war klar – die meinen mich! Also griff ich sofort zum Telefon und rief kurzerhand im den Unternehmen an. Telefonangst war für mich ein Fremdwort. Dem Chef schien meine forsche Art zu gefallen, er lud mich zum Gespräch ein – und der Rest ist Geschichte.

Warum ich euch diese Anekdote erzähle? Weil ich glaube, dass sowas heute nicht mehr passieren wird. Ich habe den Eindruck, dass die Mehrheit der jungen Menschen heute eine echte Herausforderung damit hat, am Telefon die Zähne auseinander zu bekommen. Oder überhaupt anzurufen. Klar, so ein Akquisecall ist schon kein Pappenstiel und erfordert ein bisschen Mumm. Du kannst nicht lange überlegen, musst flexibel und spontan reagieren. Ich habe diese Herausforderung von Anfang an geliebt. Natürlich habe ich auch eine Menge Telefonate versemmelt. Doch ich habe nicht den Kopf in den Sand gesteckt, sondern mich durchgebissen. Übung macht den Meister!

Telefonangst – ernsthaft?

Doch ich rede hier gar nicht nur von Telesales. Viele junge Menschen schaffen es allen Ernstes nicht mal, einen Arzttermin telefonisch zu vereinbaren. Vor einiger Zeit ist mir etwas schier Unglaubliches passiert. Ich war zu Besuch bei einem Kunden, nach dem Termin wollten wir noch gemeinsam essen gehen. Also hatte er seine Auszubildende in meinem Beisein kurz gebrieft, dass sie in einem Lokal in der Nähe einen Tisch reservieren sollte. Als wir dann dort ankamen, erst mal die Ernüchterung: Auf den Namen meines Kunden lag keine Reservierung vor. Weißt du, was passiert war? Anstatt kurz anzurufen, hatte die junge Frau lieber eine E-Mail geschickt – die im Restaurant keiner gelesen hatte. Und sowas ist kein Einzelfall.

Erst vor kurzem hatte ich ein Bewerbungsgespräch mit einem jungen Mann. Er war durchaus redegewandt, hatte sogar einen eigenen YouTube-Kanal. Augenscheinlich fiel es ihm also nicht schwer, frei zu sprechen und die Aufmerksamkeit von anderen auf sich zu ziehen. Doch als ich ihn fragte, ob er sich vorstellen könnte, direkt mal bei meinen Sales-Stars reinzuschnuppern und ein paar Calls zu machen, erstarrte er quasi zur Salzsäule. „So ganz ohne Vorbereitung? Das geht doch nicht … Damit habe ich nicht gerechnet …“ Nett wie ich bin, wollte ich ihm noch eine Chance geben und vereinbarte einen Termin fürs Probearbeiten. Und jetzt rate mal, wer weder aufgetaucht ist noch abgesagt hat? Und sowas passiert immer öfter. Ich kann das Phänomen Telefonangst gerade in diesem Falle nicht nachvollziehen. Du kannst dich doch nicht auf einen Salesjob bewerben – und dann aus allen Wolken fallen, dass du telefonieren musst. Wie willst du sonst Akquise machen? Per E-Mail und Brieftaube?

Wenn plötzlich die Mutter anruft

Meiner Ansicht nach hat das auch etwas mit dem Thema Sozialkompetenz zu tun. Und hier sind eindeutig die Eltern gefragt! Zugegeben, ich war kein Musterkind. Ich habe einigen Mist gemacht und mein Vater musste das eine oder andere Mal in die Schule zum Gespräch kommen. Doch ich denke, aus mir ist trotzdem ein ordentlicher Kerl geworden. Und das habe ich meinen Eltern zu verdanken. Wir sind eine Bergbau-Familie aus dem Ruhrpott, ich bin in Essen geboren. Und darauf bin ich stolz. Denn meine Eltern und meine Großeltern haben mir vorgelebt, auf welche Werte es im Leben ankommt. Ehrlichkeit wurde bei uns immer großgeschrieben. Frei heraus sagen, was Sache ist. Das können viele junge Menschen gar nicht mehr. Ich weiß, was es bedeutet, anzupacken. Und ich wurde zu Selbstständigkeit erzogen.

Meine Mutter hätte mir was anderes erzählt, wenn ich sie gefragt hätte, ob sie für mich beim Arzt anruft – oder bei einem potenziellen Arbeitgeber. Mal abgesehen davon, dass ich mich selbst in Grund und Boden geschämt hätte. Doch auch das habe ich letztens erlebt: Da rief tatsächlich die Mutter einer Bewerberin an, um mitzuteilen, dass ihre Tochter krank sei und den Termin nicht wahrnehmen könnte. Und wir sprechen hier nicht von einer schwerwiegenden Sache. So krank könnte ich gar nicht sein, dass ich mich nicht selbst melde!

Doch genau sowas passiert heute. Weil viele junge Menschen zu Unselbstständigkeit erzogen worden sind. Sie sind es gewohnt, dass ihnen die Eltern alle Hindernisse aus dem Weg räumen und jeden Wunsch von den Augen ablesen. Die Telefonangst ist gewissermaßen eine Folge dessen. Denn sie wählen auch in Sachen Kommunikation den Weg des geringsten Widerstandes, sprich E-Mail und WhatsApp. Eine Studie von JIM (Jugend Information Medien) hat ergeben, dass 95 Prozent der Jugendlichen zwischen 12 und 19 Jahren in Deutschland primär über Messenger wie WhatsApp miteinander kommunizieren. Nur jeder fünfte nutzt sein Mobiltelefon, um damit tatsächlich Anrufe zu tätigen.

Fehlende Basic Skills: Bin ich Unternehmer oder Elternersatz?

Und was passiert, wenn diese Jugendlichen ins Berufsleben eintreten? Denen musst du erst mal die Grundlagen des Telefonierens beibringen. Die nehmen allen Ernstes den Hörer ab und sagen „Hallo?“ anstatt sich vernünftig mit Firmennamen etc. zu melden! Ganz zu schweigen von den Gesprächsnotizen, die dabei herauskommen. Da heißt es dann: „Den Namen habe ich nicht verstanden.“ Oder: „Die hat so schnell gesprochen, da konnte ich die Nummer nicht mitschreiben.“ Euer Ernst? Die trauen sich gar nicht, eine Rückfrage zu stellen. Oder sind so überfordert, wenn das Telefon klingelt, dass sie gar nichts machen – oder einfach den Raum verlassen.

Unfassbar. Da mache ich mir als Unternehmer wirklich Sorgen um die Zukunft. Es wird immer herausfordernder, neue Mitarbeiter zu finden. Sicher bin ich bereit, in mein Team zu investieren und ich unterstütze junge Menschen auch gerne dabei, ihr Potenzial zu entdecken – doch wenn es schon an so grundlegenden Skills fehlt, bin ich doch etwas konsterniert. Hier haben wir als Gesellschaft echt versagt. Welche Erfahrungen habt ihr diesbezüglich gemacht? Haben wir es mit einer „Generation Telefonangst“ zu tun oder liegen die Ursachen woanders?

Euer Martin Limbeck

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12 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort

  • Aus der Rhetorik Anderer zu lernen funktioniert halt weder im Chat, noch in der Jugendsprache auf dem Schulhof. Rappervorbilder haben sicherlich nicht dazu beigetragen, sich eolquent ausdrücken zu wollen. Im Gegenteil; das große Geld kannst du heutzutage auch ohne große Ausbildung machen.

    Es ist so, wie es ist. Die entscheidende Frage ist also, warum ich als Unternehmer dann etwas Anderes erwarte und wo die Herausforderungen denn angeblich liegen, meinen Mitarbeitern die richtigen Werte und die richtige Rhetorik in meinem Betrieb zu vermitteln. Alles eine Frage der Führung.

    Antworten
    • Martin Limbeck
      3. Januar 2022 19:06

      Als Führungskraft kommen hier auf jeden Fall zusätzliche Aufgaben auf den Plan, die vor einigen Jahren noch nicht nötig waren. Allerdings bin ich überzeugt, dass sich Rhetorik und gutes Telefonieren lernen lassen.

      Antworten
  • Steffen Urbaniak
    30. Dezember 2021 17:10

    Das ist absolut wahr. Ich hatte kürzlich eine wirklich kluge Auszubildende im Vertrieb und für eine relativ komplizierte Angelegenheit benötigten wir Rücksprache mit einer bestimmten Back Office Abteilung.
    Weil die Frage an sich einfach (zu formulieren) war, bat ich die Azubi, kurz die entsprechende Kollegin anzurufen. Blankes Entsetzen machte sich breit, die Kollegin könne ja etwas sagen, worauf die Auszubildende nicht vorbereitet sei.
    Nach kurzem erstaunten Hin und Her fragte ich die Azubi, was sie mache, wenn sie eine Pizza bestellt?! Sie ist 21 Jahre alt. Antwort: “Das übe ich, seit ich 16 bin. Es wird besser. Letztes Mal hatte ich keine Bauchschmerzen mehr wegen der ganzen Rückfragen. Ich konnte die Pizza also wirklich noch essen!”
    Als ich zum eigentlichen Sachverhalt zurückkehrte, verschlimmerte sich ihre Angst wieder. Ich schlug ihr vor, dass sie bei mir zuhört, wenn ich die Kollegin anrufe. Das verunsicherte sie noch mehr. Was, wenn die Angerufene merkt, dass eine weitere Person heimlich mit zuhört?
    Als ich ihr sagte, dass ich der Kollegin einfach mitteile, dass die Auszubildende zuhört, brach die nächste Panik aus: “Ich will von ihr nichts gefragt werden! Nachher weiß ich die Antwort nicht!”

    Antworten
    • Martin Limbeck
      3. Januar 2022 19:04

      Was für eine Story! Das ist einerseits echt erschreckend, doch mit so einer Realität haben wir es tagtäglich zu tun. Wahnsinn!

      Antworten
  • Andrea Digruber
    2. Januar 2022 7:32

    Hallo! Danke für den Beitrag – kann dir aus meiner Praxiserfahrung, vor allem mit jungen Geschäftspartnern, nur Recht geben. Auch eine mögliche Hauptursache in der Erziehung zu sehen, mag wohl stimmen. Die Frage ist jetzt: wo und wie siehst Du die Lösung? Betreffend Kindererziehung erstreckt sich mein Einfluss auf meine Familie, wo ich täglich alles dran setze, das gut zu machen…aber sonst? Angst abtrainieren? Telefonkompetenzen aneignen? So lange suchen, bis ich jemanden der 5% finde, die doch noch telefonieren? Oder darauf reagieren und andere Methoden einsetzen??? Bin gespannt, wie da Dein Ansatz aussieht?

    Antworten
    • Martin Limbeck
      3. Januar 2022 19:03

      Hallo Andrea,

      danke für dein Feedback zum Artikel, freue mich über den Austausch!

      An der Erziehung werden wir nichts ändern können. Ich setze jedoch alles daran, meinen Mitarbeitern im Sales die Angst vor dem Telefon wegzutrainieren. Wir machen regelmäßig sogenannte “Telefonpartys” – es wird nacheinander telefoniert und direkt Feedback gegeben. Das bringt enorm viel und sorgt dafür, dass die Leute nach wenigen Wochen schon viel entspannter telefonieren.

      Antworten
  • Günter Zeppenfeld
    2. Januar 2022 7:51

    Guten Tag Martín,
    Du triffst den Nagel auf den Kopf, es ist genau so! Der Hörer ist schwer wie Blei.
    Ich sehe es jedoch inzwischen positiv: mir kann keiner in der Akquise das Wasser reichen, ich bekomme fast immer den GF ans Telefon. Die Welt steht mir offen!

    Antworten
    • Martin Limbeck
      3. Januar 2022 19:00

      Hallo Günter,

      danke für dein Feedback zum Beitrag! Das ist genau die richtige Einstellung – so können wir bei der Akquise am Telefon durchstarten!

      Antworten
  • Günter Zeppenfeld
    2. Januar 2022 9:04
    Antworten
  • Die Kommunikation läuft auch bei älteren Kollegen oft nur per E-Mail. Es geht so weit, dass der/die Kollege/Kollegin erst gar nicht ans Telefon geht, obwohl Erreichbarkeit signalisiert wird. Und ja, es stimmt: Das Mehr an Arbeit, weil man selbst bei Kleinigkeiten schreiben statt sprechen muss, steht für mich nicht im Verhältnis und ist unproduktive Arbeitszeit.

    Antworten
  • Manfred Braun
    12. Januar 2022 10:27

    Ja so ist es leider. Gefühlt bekommen die Kids den “A…” nach getragen. Mit drei Brüdern musste ich als Kind auch sehr früh selbstständig werden. Bei uns war es sehr ähnlich zuhause.
    In meiner Lehre (Verkäufer und dann Einzelhandelskaufmann) musste ich regelmäßig gemeinsam mit dem Marktleiter und der Seniorchefin telefonieren. Auch Verkaufsgespräche mit Kunden – insbesondere der Abschluss wurden zu Beginn in der Regel an der Verkaufstheke unter deren Augen geführt.
    Spannend und lehrreich. 🙂
    Danke für diesen Post.

    Beste Grüße
    Manfred Braun

    Antworten

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