Geboren im Überfluss: Sind Anstand und Respekt vor fremdem Eigentum out?

Vor wenigen Tagen bin ich beim Scrollen durch Facebook auf einen Artikel des Kölner Stadtanzeigers gestoßen, der mich fassungslos gemacht hat. Die lokalen Verkehrsbetriebe setzen dort schon länger auf Leihfahrräder, die überall in der Stadt verteilt sind und mittels App gemietet werden können. Sie haben Rahmenschlösser, die elektronisch gesteuert werden. Was ist passiert? Anscheinend wurde über TikTok zu einer „Challenge“ aufgerufen, die dazu führte, dass innerhalb weniger Tage rund 1.500 dieser Schlösser zerstört wurden. Die Räder sind aktuell völlig unbrauchbar und müssen aufwendig repariert werden. Und das ist nun wahrlich kein Kavaliersdelikt. Wir sprechen hier von einem Schaden, der sich im hohen sechsstelligen Bereich befindet!

Und was ich noch erschreckender finde: Nach Informationen der KVB sind die Täter wohl zwischen zehn und 16 Jahre alt. Das musst du dir mal vorstellen! Klar war ich in diesem Alter auch kein Engel. Wir haben damals viel Mist gebaut, im Kiosk mal als Mutprobe Kaugummis eingesteckt, Stinkbomben gebaut und sowas. Doch mutwillige Zerstörung von fremdem Eigentum? Da hört es bei mir echt auf. Mein Vater hätte mir ganz schön die Leviten gelesen, wenn ich mir sowas geleistet hätte. Und zwar zu Recht! Das passiert heute allerdings kaum noch. Da wird alles auf den Medienkonsum geschoben, dass die Kinder durch Corona unausgelastet sind und so weiter. „Schwere Kindheit“ ist in so einem Fall allerdings keine hinreichende Entschuldigung mehr, wenn ihr mich fragt.

Andere Zeiten, andere Werte

Vielleicht liegt es daran, dass ich als Kind in einfachen Verhältnissen aufgewachsen bin. Ich war das jüngste von drei Geschwistern – da ist es selbstverständlich, dass du einiges weitergereicht bekommst. Na und? Ich habe mich über mein Fahrrad gefreut und es gut behandelt. Auch wenn es nicht das coole Mountainbike war, das einige Klassenkameraden hatten. Als dann in meinen Teenager-Jahren Mofas angesagt waren, kauften mir meine Eltern eine Honda Camino. Alle anderen hatten eine Zündapp, die war finanziell bei uns jedoch nicht drin. Na und? Ich war trotzdem happy und bin mit der Honda rumgeheizt.

Doch diese Erfahrung fehlt vielen jungen Menschen heute völlig. Klar ist es toll, im Wohlstand aufzuwachsen und jeden Wunsch von den Augen abgelesen zu bekommen. Doch mit vielen Kindern macht das etwas und führt dazu, dass sie Werte überhaupt nicht mehr richtig einschätzen können. Immer öfter liest du von Jugendlichen, die allen Ernstes vor Wut einen Laptop aus dem Fenster werfen, weil sie nicht das neuste Mac Book Pro bekommen haben. Ich erinnere mich zum Beispiel an einen Bekannten, der mir erzählte, dass er gleich noch ein neues Handy für seinen Sohn holen würde – weil ihm seins in die Toilette gefallen war. Inzwischen zum dritten Mal. Ich weiß nicht, was du getan hättest. Doch ein neues Smartphone hätte es von mir sicher nicht mehr gegeben.

Gehört mir ja nicht, was soll’s …

Und auch als Arbeitgeber erlebe ich sowas. Da stellst du einem Mitarbeiter ein Auto zur Verfügung, damit er zum Kunden fahren kann. Eine Woche später gehe ich an dem Wagen vorbei und sehe, dass da einige fette Kratzer am Seitenflügel sind. Ich schnappe mir also den jungen Mann und frage ihn: „Hey, was ist mit dem Auto passiert?“ Und er antwortet ganz lapidar: „Da war so ein bescheuerter Poller im Weg …“ Ernsthaft? Wenn mir das passiert wäre, hätte ich meinen Chef wahrscheinlich sofort angerufen, die Sache gebeichtet und mich entschuldigt. Stattdessen finde ich das nur durch Zufall heraus. Weil der Mitarbeiter sich nicht mal die Mühe gemacht hat, den Schaden zu melden. Frei nach dem Motto: „Ist nicht meine Karre, was soll’s. Der Chef zahlt ja.“

Und das war beileibe nicht die einzige Situation. Anfang des letzten Jahres sind wir in ein neues Bürogebäude gezogen. Unter anderem, weil sich die Verkäufer beschwert hatten, dass es im alten Office zu eng wäre, sie keine Ruhe zum Telefonieren hätten und so weiter. Ich habe die Räume komplett neu streichen lassen, neue Möbel gekauft, alles picobello. Und bereits am zweiten Tag knie ich mit dem Schmutzradierer in der Hand auf dem Boden, weil an der Wand im Flur dunkle Streifen sind. Weil irgendwer dort was vorbeigeschrammt hat. Kommt einer der Jungs vorbei und fragt mich allen Ernstes: „Chef, was machst du denn da?“ Da war sogar ich mal kurzzeitig sprachlos.

Ist unsere Jugend noch zu retten?

„Naja, der Limbeck ist aber auch pingelig“, denkst du jetzt vielleicht. Ganz ehrlich: Bin ich, keine Frage. Doch mir geht es hier ums Prinzip. Ich habe es gerne schön, sei es im Office oder Zuhause. Und ich kann es nicht leiden, wenn Menschen so achtlos mit Dingen umgehen, die ihnen nicht gehören. In ihrer eigenen Wohnung können sie gerne so viele Schrammen an die Wände machen, wie sie wollen. Das Geschirr bis zur Decke in der Spüle stapeln und mit einem völlig verbeulten Wagen rumfahren. Doch diesen Umgang verbitte ich mir mit Dingen, die ich bezahlt habe.

Es geht mir dabei gar nicht mal um das Geld. Klar kann ich sowas ersetzen und reparieren lassen. Mir geht es um Werte. Für mich ist es selbstverständlich, dass ich mich anständig benehme und rücksichtsvoll mit Dingen umgehe, die mir nicht gehören. Ich habe den Eindruck, dass wir hier als Unternehmer und Führungskräfte nachholen müssen, was viele Helikopter-Eltern versäumt haben. Ich kann das zwar in gewisser Weise nachfühlen, schließlich bin ich selbst Vater. Auch ich habe immer mal wieder gezweifelt, ob ich das richtig mache. Hab mich gefragt, ob ich es meinem Sohn in bestimmten Situationen zu leicht gemacht habe oder ob ich vielleicht nicht streng genug war. Manchmal weißt du nicht, was das richtige Maß ist. Doch heute steht vor mir ein junger Mann mit Mitte Zwanzig, der fleißig ist, sein Ding macht und sogar selbst unternehmerisch tätig ist. Besser geht’s doch nicht!

Warum ich das erzähle? Weil es mich hoffen lässt. Denn es macht deutlich, dass wir auch mitten im Wohlstand unserer heutigen Zeit Kinder großziehen können, die Verantwortung übernehmen. Die nicht nur Mitläufer-Dodos irgendwelcher TikTok-Influencer sind, sondern ihren eigenen Kopf benutzen. Bei einigen braucht es vielleicht noch einen Schubs in die richtige Richtung – doch es ist grundsätzlich möglich.

Wie seht ihr das? Ich freue mich auf eure Antworten in den Kommentaren!

Euer Martin

 

Mehr dazu gibt es ab dem 23. Mai in meinem neuen Buch Dodoland – uns geht’s zu gut!

Jetzt vorbestellen >>>

Vorheriger Beitrag
Autofreie Sonntage statt Tankrabatt? Wie Deutschland seine Wertschöpfer verprellt
Nächster Beitrag
Spritrabatt oder Verkehrswende? Dieses Dilemma haben wir uns selbst eingebrockt!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Bitte füllen Sie dieses Feld aus.
Bitte füllen Sie dieses Feld aus.
Bitte gib eine gültige E-Mail-Adresse ein.
Sie müssen den Bedingungen zustimmen, um fortzufahren.

Menü
;