Soziale Pflichtzeit: Unverschämte Forderung oder Idee mit Weitblick?

„Ich weiß, dass es nicht einfach werden wird, aber ich wünsche mir, dass wir eine Debatte über eine soziale Pflichtzeit führen“. So äußerte sich Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier vor einigen Tagen gegenüber der „Bild am Sonntag“. Bestimmt habt ihr mitbekommen, was dann geschah: Durch Social-Media-Deutschland ging ein Aufschrei! Speziell junge Menschen schrieben empört, dass das ja „Zwangsarbeit“ wäre und sie nicht einsehen würden, als billige Arbeitskräfte ein Jahr lang zu schuften. Warum ich diese Reaktion übertrieben finde und wieso eine soziale Pflichtzeit in meinen Augen nicht nur für die jungen Menschen, sondern auch unsere Gesellschaft im Allgemeinen gut wäre? Mehr dazu in diesem Beitrag.

Soziale Pflichtzeit: Eingriff in die Lebensplanung?

Als ich von Steinmeiers Vorschlag hörte, ging mir eine Sache sofort durch den Kopf: „Endlich mal eine sinnvolle Idee!“ Anscheinend stehe ich mit dieser Meinung jedoch recht allein da. Einige verspotteten die Idee als „alberne Sommerloch-Meldung“, während zum Beispiel ver.di-Chef Frank Werneke sogar so weit ging, eine soziale Pflichtzeit als unzulässigen Eingriff in die Lebensplanung junger Menschen zu bezeichnen.

Ganz ehrlich: Das finde ich ziemlich übertrieben. Wenn eine soziale Pflichtzeit für alle jungen Menschen ab einem Alter von 18 Jahren gelten würde, wären die Bedingungen doch für alle gleich. Und mit Sicherheit ließen sich Mittel und Wege finden, das Ganze so zu gestalten, dass Ausbildung, Studium oder der Start ins Berufsleben nicht darunter leiden würden. Ich könnte mir zum Beispiel gut vorstellen, einen Zeitraum festzulegen, innerhalb dessen die soziale Pflichtzeit erfüllt werden muss. Etwa im Alter zwischen 18 und 30 Jahren. Dann kann sich jeder und jede selbst entscheiden, ob direkt nach dem Abi der beste Zeitpunkt dafür ist – und lieber erst nach der Ausbildung oder dem Studium.

Auch mal etwas zurückgeben

Zugegeben, ich weiß auch nicht, ob die Bundeswehr so mein Ding gewesen wäre. Daher würde ich es begrüßen, den jungen Menschen eine Wahlmöglichkeit zu geben zwischen einer militärischen, sozialen oder ökologischen Betätigung. Und das ist aus meiner Sicht weder ein „verlorenes Jahr“, noch „Zwangsarbeit“ oder „unzulässiger Eingriff in die Lebensplanung“. Weder bei der Bundeswehr noch im Zivildienst wurde von den jungen Männern früher Unmenschliches verlangt – wieso sollte das heute anders sein? Ein Freund von mir hat beispielsweise seinen Ersatzdienst in einer Blindenschule geleistet. Noch heute spricht er davon, dass diese Erfahrung für ihn extrem wertvoll war und ihm geholfen hat, seine Stärken zu erkennen.

Und was ist dran am Argument, dass das nur ein Versuch sei, „billige Arbeitskräfte in schlechtbezahlte Berufe zu bringen“? Meiner Ansicht nach ist genau diese Denkweise der Grund, warum die soziale Pflichtzeit eine wirklich gute Idee wäre. Um einer Generation, die ihre hohen Ansprüche scheinbar mit der Muttermilch aufgesogen hat, die Augen zu öffnen dafür, was es bedeutet, ein Teil einer Gesellschaft zu sein. Es bedeutet, nicht immer nur zu fordern und das zu tun, was am meisten Spaß macht – sondern auch mal etwas zurückzugeben.

Soziale Pflichtzeit: Raus aus der Blase

Keiner wird Lea-Marie oder Finn-Lucas dazu zwingen, nach ihrer sozialen Pflichtzeit eine Ausbildung in der Altenpflege zu starten, anstatt wie geplant Gender Studies oder BWL in Berlin zu studieren. Doch ich bin überzeugt davon, dass auf diese Weise sicherlich manche einen Berufsweg für sich erkennen werden, den sie ohne die soziale Pflichtzeit nie in Betracht gezogen hätten. Unter anderem deswegen, weil sie vorher noch nie die Blase verlassen haben, in der sie sozialisiert wurden. Und mal ehrlich: Wer von euch arbeitet heute noch in dem Job, den er oder sie nach der Schule angefangen hat? Und wer wusste mit 18 Jahren schon genau, wohin ihn der berufliche Weg führen würde? Vor diesem Hintergrund hat für mich auch das Argument, junge Menschen würden während der Pflichtzeit gezwungen, in für sie unattraktiven Bereichen zu arbeiten, keinen Bestand.

Heute spüren wir die Folgen der Wehrpflichtsaussetzung

Etwas anderes erleben, sich einbringen – so ganz fremd klingt das gar nicht, oder? Vielmehr sind das auch die Argumente, die nicht wenige junge Menschen vorbringen, um sich nach dem Abitur eine Auszeit zu nehmen. Klar klingt Schafe scheren auf Neuseeland cooler als sich um alten Menschen im Pflegeheim in Wesel zu kümmern. Doch auch das bringt dich in deiner persönlichen Entwicklung weiter und hilft gleichzeitig auch konkret unserer Gesellschaft.

Nur mal zum Nachdenken: Die Wehrpflicht wurde in Deutschland 2011 abgeschafft. Erhebungen von Statista belegen, dass es 2009 noch 68.000, 1999 154.000 junge Männer pro Jahr waren, die ihren Grundwehrdienst geleistet haben. Und Zivildienst haben im Schnitt zwischen 80.000 und 90.000, Ende der 90er Jahre sogar noch 130.000 pro Jahr geleistet. Ich bin kein Wirtschaftsprofessor. Doch es muss doch selbst einem Laien aufgefallen sein, dass der Wegfall von Wehrpflicht und Zivildienst personelle Folgen mit sich bringen würde. Viele Zivildienstleistende sind im Anschluss in dem Bereich geblieben, haben dort Ausbildungen absolviert und sich weiter fortgebildet. Und die Bundeswehr? Früher hat dort jeder dritte seinen LKW-Führerschein gemacht. Und heute? Fehlen uns massiv Mitarbeiter in der Alten- und Krankenpflege. Und Speditionen und viele Unternehmen suchen händeringend nach Fahrern, die ihre Waren von A nach B transportieren. Ich werde hier das Gefühl nicht los, dass wir uns diesen Mangel zum Teil selbst zuzuschreiben haben.

Wie seht ihr das? Ich freue mich auf den Austausch mit euch in den Kommentaren!

Euer Martin

 

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